Sind ein deutsches Amazon oder ein deutsches Google im B2B-Bereich denkbar? Können deutsche Plattformprojekte dazu beitragen, dass Europa künftig in der globalen digitalwirtschaftlichen Champions League mitspielt? Diese Fragen beleuchtet der letzte Teil meines B2B-Plattformökonomie-Specials.

Plattformökonomie als globales Phänomen
(Global / Pixabay-Lizenz)

Ein Blick auf die aktuelle digitalwirtschaftliche Situation weltweit (Dezember 2021):

➤ 6 der 10 global wertvollsten Unternehmen sind Betreiber digitaler Plattformen: fünf US-Firmen (Apple, Microsoft, Alphabet/Google, Amazon, Facebook) und ein chinesischer Anbieter (Tencent). Der Unternehmenswert berechnet sich anhand der Marktkapitalisierung: Sie multipliziert die Anzahl frei umlaufender Aktien des Unternehmens mit dem aktuellen Aktienkurs. Die so kalkulierte Summe ist der Preis, den jemand zahlen müsste, wollte er das Unternehmen kaufen. Die fünf genannten US-Unternehmen liegen derzeit jeweils zwischen 1,5 und 3 Billionen Euro.

➤ Das macht die Plattformökonomie zur derzeit mächtigsten globalen Wirtschaftsstruktur – dank indirekt-wechselseitiger Netzwerkeffekte zwischen Anbieter- und Nachfrageseite. Diese Effekte ermöglichen ein exponentielles Wachstum (im Gegensatz zum linearen Wachstum traditioneller Geschäftsmodelle).

➤ Plattformanbieter werden zu branchenbestimmenden Playern („Winner-takes-all“-Dynamik) und forcieren einen asymmetrischen Wettbewerb: Sie „marschieren“ mit einer enormen Geld- und Daten-Macht in Branchen ein, in denen sie ursprünglich nicht beheimatet waren – und krempeln diese um.

➤ Europa hinkt in der Plattformökonomie massiv hinterher. Dies unter anderem aus drei Gründen: 1. Europa ist verglichen mit den USA und China ein uneinheitlicher Markt, 2. es fehlt in Europa an Risikokapital, 3. der europäische Datenschutz ist derart restriktiv, dass datengetriebene Geschäftsmodelle massiv erschwert werden.

➤ Das wertvollste europäische Plattformunternehmen ist mit rund 150 Milliarden bzw. 0,15 Billionen Euro ein deutscher Softwarekonzern: SAP rangiert im globalen Ranking zwar in den Top 100, dies aber weit abgeschlagen.

➤ Im B2C-Bereich sehen Beobachter den Plattformökonomie-Zug für Deutschland und Europa abgefahren – angesichts des gewaltigen Vorsprungs der US-amerikanischen und asiatisch-pazifischen Anbieter.

➤ In der B2B-Plattformökomomie dagegen sehen manche die Chance für Deutschland und Europa, auch künftig globalwirtschaftlich in der Champions-League mitspielen zu können.

Deutschlands Bemühungen in der B2B-Plattformökonomie

Folgende Beispiele deutscher B2B-Plattformen haben wir uns in den vorangegangenen sechs Teilen dieser Artikelreihe angeschaut:

Internet-of-Things-Plattformen:

  • Aviatar (Lufthansa)
  • Bosch IoT Suite
  • SAP Internet of Things
  • Schaeffler Optime
  • Toii (ThyssenKupp)

B2B-Datenplattformen:

  • Aviation DataHub
  • SAP Business Technology Platform
  • Telekom Data Intelligence Hub

B2B-Retail- und Fertigungs-Plattformen:

  • Bosch CyberCompare
  • Siemens Additive Manufacturing Network

Logistik-Plattformen:

  • Cargobay

B2B-Kollaborations-Plattformen:

  • SAP Asset Intelligence Network
  • IT2match

B2B-Marktplätze als Deutschlands Chance?

Es ist durchaus denkbar, dass eine deutsche B2B-Plattform zum digitalen Branchenstandard wird. Folgende Punkte gebe ich jedoch zu bedenken:
1. Wie skalierbar ist das alles? Erfolgsstorys wie Amazon, Facebook oder Google beruhen auch darauf, dass ihre Zielgruppe Milliarden Privatpersonen sind. Eine B2B-Plattform dagegen adressiert ausschließlich Geschäftskunden. Eine „natürliche Grenze“ im Bereich der Nutzerbasis ist hier deutlich schneller erreicht als im B2C-Bereich.
2.  Wie viel Strahlkraft besitzen B2B-Plattformen? Marken wie Apple, Microsoft, Google oder Facebook sind fest verankert im Bewusstsein des Durchschnittsbürgers. Bei der Marke SAP ist dies bereits deutlich schwächer ausgeprägt. B2B-Plattformen können in der Unternehmenswelt bekannt werden, für die meisten Privatpersonen werden sie jedoch unsichtbar bleiben – was sich entsprechend auch auf den Börsenwert und damit auf den „Glauben“ des Marktes an diese Marke auswirken wird.
3. Wie gewappnet sind deutsche B2B-Plattformen gegen asymmetrischen Wettbewerb? Amazon, Google und Microsoft haben alle Mittel, um auch die B2B-Welt aufzumischen – was sie bereits tun: Sie sind Marktführer im Cloud-Computing. Bei Einkauf & Beschaffung hat sich zusätzlich Amazon Business etabliert.
Unternehmen, die ihre IT in der Cloud eines US-Anbieters betreiben und ihre gesamte digitale Office-Infrastruktur mit Microsoft-Produkten realisieren, werden auch offen sein für weitere B2B-Plattformservices dieser US-Anbieter.

Quo vadis, Wirtschaftsstandort Europa?

Ob Plattformökonomie, Künstliche Intelligenz oder digitale Startup-Kultur: Die europäische Wirtschaft hinkt hinterher. Einzelne versprengte europäische Plattform-Initiativen werden dies meiner Meinung nach nicht grundlegend ändern können.
Solange Europa nicht als tatsächliche Union agiert und sich weigert, seine übertrieben restriktiven Datenschutz-Bestimmungen zu überdenken, wird es langfristig keine Chance gegen nordamerikanische und asiatisch-pazifische Plattform-Geschäftsmodelle haben. Die Folge: Europa wird zum reinen Absatzmarkt respektive zur verlängerten Werkbank für die USA und China.
Ihr seht das anders? Ich freue mich auf eure Kommentare.
 
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