Als ich für die E-Book-Auswahl anlässlich dieses Beitrages in meine Kindle-Bibliothek blickte, fiel mir auf: 2024 tummelt sich mitunter Abgründiges in meinem virtuellen Bücherschrank. Was ist da los? Alles gut: Wer nicht ab und an mit der dunklen Seite flirtet, wird ja zum Spießbürger. Vorhang auf für einen schaurig-schönen Ritt durch die dunkeln Ecken der Seele (zum Verschnaufen ist auch ein hervorragendes Digitalisierungs-Fachbuch dabei).
Folgende E-Books möchte ich euch im Spätsommer 2024 empfehlen:
1. Annett Bergk, et al. (Hrsg.): Corporate Psychopathy – Studienergebnisse, Herausforderungen und die Rolle der Internen Kommunikation im Umgang mit der Dunklen Triade in Unternehmen
2. Katharina Ohana: Narzissten wie wir – Vom Streben nach Aufwertung – Ein ehrlicher Blick auf uns Menschen
3. Wolfgang Hirn: Der Tech-Krieg – China gegen USA – Und wo bleibt Europa?
4. Chris Carter: Robert-Hunter-Thrillerreihe (14 Bände)
Bereit? Auf geht’s:
E-Book-Tipp: „Corporate Psychopathy“ – der ganz normale Unternehmens-Wahnsinn?
➤ Annett Bergk, Romy Frandrup, Christopher Morasch (Hrsg.) – 168 Seiten – Verlag Springer Gabler, 2023
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Das Cover des Buches „Corporate Psychopathy“ |
Nein, kein Psychothriller: Dieses Buch beleuchtet wissenschaftlich, wie es psychisch um Führungsebenen in manchen Unternehmen bestellt ist. Die Autor*innen sind PR-Fachkräfte, Wirtschaftspsychologen, Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter an Universitäten.
Worum geht’s? Der Begriff „Dunkle Triade“ steht in der Psychologie für einen unguten Dreiklang, bestehend aus Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Im Detail:
1. Narzissmus: Laut psychologie-heute.de definiert die wissenschaftliche Psychologie Narzissmus als Mischung aus empfundener Großartigkeit, dem Bedürfnis nach Bewunderung und mangelnder Empathie (fehlendem Einfühlungsvermögen). Narzissten wollen dominant sein, überschätzen sich und reagieren überempfindlich auf Kritik. Zu dieser eher männlichen Narzissmus-Definition (Donald T. lässt grüßen) gibt es ein weibliches Pendant (Buch-Tipp eures Bloggers: „Weiblicher Narzissmus“ von Bärbel Wardetzki).
2. Machiavellismus: Laut psychologie-heute.de geht dieser Begriff zurück auf Niccolò Machiavelli (1469–1527), ein zu Lebzeiten einflussreicher italienischer Staatsphilosoph. Sein Buch „Der Fürst“ („Il principe“) von 1513 gilt als How-to-Leitfaden für skrupellose Machtmenschen (gleichwohl es auch Stimmen gibt, die das Werk als missverstanden verteidigen). Gemäß der negativen Lesart sind machiavellistische Personen kühl, berechnend, hinterhältig und betrügerisch.
3. Psychopathie definiert Wikipedia wie folgt:
„Psychopathie bezeichnet heute eine schwere Persönlichkeitsstörung, die bei den Betroffenen mit dem weitgehenden oder völligen Fehlen von Empathie, sozialer Verantwortung und Gewissen einhergeht. Psychopathen sind auf den ersten Blick mitunter charmant, sie verstehen es, oberflächliche Beziehungen herzustellen. Dabei können sie sehr manipulativ sein, um ihre Ziele zu erreichen.“
Yes, Charaktere mit einer solchen Psyche trifft man (mit sozial angepasster Fassade) durchaus in Unternehmen an. Wie verhalten sie sich, wie wirken sie auf das Unternehmen und wie erkennt man sie? Der Forschungsüberblick „Corporate Psychopathy“ liest sich spannend und man erwischt sich dabei, die ein oder andere vergangene berufliche Station nochmal Revue passieren zu lassen.
Auch mit einem Klischee räumt das Buch auf: Nein, weibliche Führungskräfte sind nicht per se empathischer als männliche.
Eine Kapitelauswahl:
- Psychopathie als Führungsstil?
- Chancen und Grenzen der Personalauswahl bei der Identifikation von Corporate
Psychopaths - Eigentlich bin ich ganz anders: Warum Führungskräfte manchmal narzisstisch
wirken (müssen)
Lesenswert!
E-Book-Tipp: „Narzissten wie wir“ – der schonungslose Blick auf uns selbst
➤ Katharina Ohana – 256 Seiten – Verlagsgruppe Beltz, 2022
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Das Cover des Buches „Narzissten wie wir“ von Katharina Ohana |
Ganz dicke Lese-Empfehlung meinerseits:
Dr. Katharina Ohana ist eine deutsche Psychologin, Psychoanalytikerin und Philosophin. Was ihrem Buch „Narzissten wie wir“ meisterhaft gelingt, ist eine
schonungslose, gleichsam äußerst klare Analyse der Psyche des Homo sapiens der
westlichen Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Im Zeitalter des Lechzens nach Anerkennung sowie der „Selbstoptimierung“ und der „Instagramisierung“ des eigenen Lebens, schießen wir mittlerweile weit über ein gesundes Narzissmus-Maß hinaus.
Ob Klimawandel oder Pandemien – auch globale Krisen sind Folge eines überbordenden krankhaften Narzissmus. Vermeintliche Aufwertung durch Konsum
und Statussymbole lässt Temperaturen steigen und Viren zirkulieren.
Tief beeindruckt (da von der Autorin bärenstark logisch-stringent hergeleitet) hat mich Ohanas Argumentationskette ausgehend von der europäischen Aufklärung (um 1700, als scharfe Abgrenzung zum Mittelalter): Das, was Kant einst den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ nannte, war an seinem Startpunkt ein maximal wertvolles Gut. Statt sein Leben in religiös-eingeimpfter Schuld, Buße und Angst vor dem Höllenfeuer zu verbringen, soll der Mensch aufblühen und sich seines Verstandes bedienen.
Dieser zutiefst menschenfreundliche, humanistische Grundgedanke ist durchweg positiv und begrüßenswert. Problematisch wurde es, als wir in der westlichen Welt den Punkt erreichten, an dem uns Mitte und Maß abhandenkamen (manche Sozialpsychologen datieren diesen Punkt zirka auf das Jahr 1980).
Aus Mündigkeit wurde Egozentrik. Aus Entwicklungsfreude wurde Vermessenheit. Aus seelischer Freiheit erwuchs die kleinkindliche Anspruchshaltung, die Menschen um uns herum hätten uns permanent glücklich zu machen.
Manche sprechen mittlerweile vom „Zeitalter des Narzissmus“.
So schonungslos Ohana argumentiert: Sie zeigt auch mögliche Auswege auf. Diese beginnen bei jedem und jeder Einzelnen von uns und bedürfen der Bereitschaft,
das eigene Ich-Gefängnis verlassen zu wollen (bzw. sich dabei durch
Psychotherapie helfen zu lassen).
Euer Blogger hat immer an uns als Menschheit geglaubt: dass wir trotz aller Übel, Krisen, Schandtaten mit der Zeit besser werden – menschlicher, sozialer, gerechter.
Dass in 300 Jahren unsere Nachfahren auf unsere heutige Zeit blicken und sagen werden: „Die waren noch nicht so weit“ (so wie wir das tun, wenn
wir heute auf das europäische Mittelalter zurückschauen).
Blicke ich im Jahr 2024 aber auf jüngste Entwicklungen, sehe ich leider auch die Möglichkeit, dass uns der Planet einfach von der Oberfläche niesen könnte – während wir damit beschäftigt sind, uns gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen. Das Universum ist fast 14 Milliarden Jahre alt. Die Erde zählt 4,5 Milliarden Jahre. Der moderne Mensch dagegen hat nur lächerliche 300.000 Jahre auf dem Buckel. Dieser Planet und diese Milchstraße brauchen uns faktisch nicht. Das hat mir die Lektüre dieses hervorragenden Buches erneut vor Augen geführt.
Kurzum: lesen – nachdenken – repeat. „Narzissten wie wir“ brilliert mit rasiermesserscharfer intellektueller Stringenz (und ist dabei durchweg leicht
verständlich geschrieben).
E-Book-Tipp: „Der Tech-Krieg“ – Fällt Europa globalwirtschaftlich immer weiter zurück?
➤ Wolfgang Hirn – 275 Seiten – Campus Verlag, 2024
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Das Cover des Buches „Der Tech-Krieg“ von Wolfgang Hirn |
Ok, einmal durchschnaufen: Jetzt geht es um weniger Abgründiges. Wirtschaftsjournalist Wolfgang Hirn ist China-Kenner und veröffentlichte bereits 2018 das lesenswerte Buch „Chinas Bosse“. In seinem aktuellen Buch „Der Tech-Krieg – China gegen USA – Und wo bleibt Europa?“ beleuchtet er den Kampf um die globale technologische Vorherrschaft entlang der folgenden Punkte:
- Künstliche Intelligenz
- Mikro-Chips
- Digitalisierung
- Quantentechnologie
- Energie und Verkehr
- Biotech und Medizin
- Raumfahrt
- Patente
- Fachkräfte
- Militär
- Industriepolitik
In den meisten Punkten haben Europa im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen wenig zu melden. Es sind China und die USA, welche uns um Lichtjahre voraus scheinen.
Wir müssen uns fragen: Wo entsteht künftig globalwirtschaftliche Wertschöpfung? Und wie wollen wir unseren Wohlstand angesichts dieser Entwicklungen aufrechterhalten?
Zitat aus dem Buch:
„Der abgeschlagene Dritte [Europa] muss endlich massiv in Menschen und Kapital investieren – sonst bleibt nur die Zuschauerrolle.“
Ausdrückliche Lese-Empfehlung meinerseits.
E-Book-Tipp: Robert-Hunter-Thrillerreihe – famose Anti-Belletristik
➤ Chris Carter – 13 Bände – Ullstein Verlag, 2009-2024
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Das Cover des sechsten Bandes der Robert-Hunter-Reihe von Chris Carter |
Hossa, zum Abschluss wird’s nochmal heftig: Eigentlich gehören Psychothriller zum Literatur-Genre der Belletristik. Die Reihe rund um Profiler Robert Hunter ist allerdings alles andere als „Belles Lettres“ (schöne Literatur). Denn: Hier fliegen die Fetzen – Fleischfetzen, um genau zu sein.
Protagonist Robert Hunter hat einen Doktor in Kriminalpsychologie und ist Detective beim Morddezernat des LAPD (Los Angeles Police Department). Seine Abteilung konzentriert sich (unter dem Kürzel UV für „ultra violent“) auf schwerste Gewaltdelikte und psychopathische Serienmörder.
Der Erschaffer von Robert Hunter, Autor Chris Carter, weiß, wovon er schreibt: Der gebürtige Brasilianer studierte forensische Psychologie in den USA und arbeitete jahrelang als Kriminalpsychologe bei der US-Staatsanwaltschaft.
Bislang sind 13 Bände (plus ein Kurzgeschichten-Prequel) in der Robert-Hunter-Reihe erschienen:
- Band 1: Der Kruzifix-Killer (2009)
- Band 2: Der Vollstrecker (2011)
- Band 3: Der Knochenbrecher (2012)
- Band 4: Totenkünstler (2013)
- Band 5: Der Totschläger (2014)
- Band 6: Die stille Bestie (2015)
- Prequel (Kurzgeschichte): One Dead. Der erste Fall für Robert Hunter (2014)
- Band 7: I Am Death – Der Totmacher (2016)
- Band 8: Death Call – Er bringt den Tod (2017)
- Band 9: Blutrausch – Er muss töten (2018)
- Band 10: Jagd auf die Bestie (2019)
- Band 11: Bluthölle (2020)
- Band 12: Blutige Stufe (2022)
- Band 13: Der Totenarzt (2024)
Ob die Bücher etwas für euch sind? Um das herauszufinden, habe ich einen Mini-Selbsttest für euch entwickelt. Lest dazu bitte den folgenden Satz:
➤ Das Schweigen der Lämmer trifft auf John Wick, James Bond und Batman
(abzüglich ausufernden Geballers).
Lässt euch diese Kombi allergisch die Nase rümpfen? Angewidert das Gesicht verziehen? Oder skeptisch die Augenbraue heben? Dann wird die Robert-Hunter-Welt nicht für euch funktionieren.
Sagt ihr euch aber „Klingt gut!“, dann müsst ihr euch in dieses gruselige Freudenfest stürzen.
Wer ist unser Protagonist? Robert Hunter ist um die 40 und eigentlich mehr Superheld als Normalsterblicher: Verschlossen, aber menschenfreundlich in seiner Art, sprengt sein IQ scheinbar das numerische System (er übersprang diverse Schulklassen und promovierte mit Anfang 20). Er könnte in der Wissenschaft große Karriere machen, zieht aber freiwillig einen Job als LAPD-Detective vor, um Psychopathen und Psychopathinnen zu jagen.
Ein echtes Leben neben dieser Jagd hat er nicht wirklich. Durch sein eigenes Trauma ist er beseelt von nachdenklicher Introversion. Krankhafte Schlaflosigkeit sucht ihn permanent heim. Da er eine zurückhaltende, gutaussehende und durchtrainierte Wikipedia in Menschengestalt ist (Running Gag in allen Romanen ist der Satz „Ich lese nur viel“ bzw. „Er liest viel“), sind die Ladys ganz verrückt nach ihm. Aber natürlich
ist Mr. Hunter komplett beziehungsunfähig (es bleibt bei regelmäßigen One-Night-Stands) – gleichwohl trägt er das Herz am rechten Fleck.
Seid gewarnt: Die Mordfälle haben es in Sachen geschilderte Intensität in sich
(fliegende Fetzen und so).
Ansonsten kann ich nur sagen: Die Robert-Hunter-Bücher von Chris Carter sind
grandioses Psychothriller-Kino in Textform!
Ich wünsche euch freudiges Schmökern
Soweit meine E-Book-Tipps 2024 – Teil 1. Diesmal war es deutlich belletristikärmer als sonst, was auch daran liegt, dass einer meiner absoluten Lieblingsautoren mit seinem jüngsten Werk etwas schwächelte (Daniel Speck, „Yoga Town“).
Aber noch ist das Jahr nicht rum. Kurz vor Weihnachten melde ich mich mit einem Buchtipp-Update. Und nun: Gehet hin und wälzt (bzw. swipt) Bücher. 😉
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